„Es geht oft um das Lebenswerk“
Thomas Löhr, bei der Wirtschaftsförderung der Region Hannover zuständig für die Begleitung von Unternehmensübergaben und die Nachfolgeplattform RFolg.com, über die besonderen Herausforderungen, die eine Übergabe von Familienunternehmen mit sich bringt.
Herr Löhr, bis 2026 steht bei 190.000 Unternehmen in Deutschland eine Nachfolge an. Welche Rolle spielt dabei RFolg.com?
Wir bieten damit eine Plattform an, die Unternehmen wie Kaufinteressierten die Möglichkeit bietet, auf einfacherem Weg zusammenzufinden und den Bestand von Unternehmen zu sichern. Dazu ist die Plattform der Eintritt zu unserem kostenfreien Beratungsangebot, denn allein über ein Matching der Interessenten wird selten ein Unternehmen verkauft.
Es gibt mehrere solcher Plattformen, etwa Nexxt-change vom Bundeswirtschaftsministerium und der KfW. Was machen Sie anders?
Zurzeit stehen auf RFolg.com fast 200 Unternehmen zum Verkauf. Wir stellen jedoch nicht einfach nur automatisiert Daten online und sagen dann: Viel Erfolg! Wir beschäftigen uns stattdessen ausführlich mit dem Unternehmen und dem Interessenten, bevor wir deren Profil online stellen. Wir wissen sowohl, was die Unternehmen können als auch was die Bewerber mitbringen – und begleiten die Übernahmeprozesse. Die Erfahrung, die Vertraulichkeit und natürlich nicht zuletzt das Wissen, dass es in solchen Prozessen nicht nur um harte Zahlen geht, schätzen unsere Kunden sehr.
Welche Arten von Unternehmen vermitteln Sie?
Fast neun von zehn Unternehmen sind Betriebe mit maximal 15 Mitarbeitenden. Wenn hier der Chef oder die Chefin geht, dann braucht es nicht nur eine neue Geschäftsführung, dann muss eine echte Lücke gefüllt werden. Die Aufgabe ist groß: Jedes Jahr suchen mehr Unternehmen eine Nachfolge. 2021 betraf das allein in unserem Einzugsgebiet mehr als 500 Betriebe – und das sind nur die Unternehmen, die das Institut für Mittelstandsforschung „übergabewürdig“ nennt, die also ausreichend Umsatz und Ertrag vorweisen können.
Was müssen Interessenten mitbringen, damit Sie sie mit einem scheidenden Unternehmer ins Gespräch bringen?
Erfahrung in der Branche, Liquidität und die Bereitschaft, sich auf den Unternehmer und sein Unternehmen wirklich einzulassen. Es geht hier schließlich in der Regel nicht um Investments, die allein aus der Ferne steuerbar sind.
Wie können Unternehmen sicher sein, dass potenziell Nachfolgende über die nötigen Mittel verfügen?
Die Interessenten müssen zu Beginn des Prozesses die nötigen Nachweise für eine potenzielle Finanzierung bringen, um die nötige Ernsthaftigkeit bei den Gesprächen mit dem Unternehmen zu dokumentieren. Oft kommen Anfragen auch direkt von der Sparkasse, weil ein Kunde oder eine Kundin Interesse an der Übernahme eines Betriebs hat.
Zwischen einem ersten Kennenlernen und der eigentlichen Übergabe vergehen oft Monate. Was ist wichtig in diesem Prozess?
So eine Übergabe ist herausfordernd für alle Beteiligten und kann sich lange hinziehen. Wichtig ist, dass die Gesprächspartner auf einer menschlichen Ebene zueinander finden, denn oft geht es ja um das Lebenswerk des Unternehmers. Das ist sehr emotional und lässt sich über die rein betriebswirtschaftlichen Diskussionen nicht abbilden. Da kann eine sachlich-kritische Nachfrage zu Geschäftsabläufen schnell mal als Beleidigung verstanden werden. Immer wieder sind wir auch Mediatoren, die als neutrale Übersetzer für beide Seiten fungieren und so den Prozess am Laufen halten.
Wie lange begleiten Sie den Prozess?
Wir sind bei der gesamten Umsetzung dabei, binden etwa Steuer- und Rechtsberatung mit ein, helfen bei der Vorbereitung der Unterlagen für die Finanzierung und unterstützen bei den Vertragsverhandlungen. Zudem führen wir viele Gespräche, wie etwa mit der Sparkasse, damit auch die finanzielle Seite der Übernahme gut geregelt ist.
Thomas Löhr ist Betriebsberater für Unternehmensnachfolge bei der Wirtschaftsförderung der Region Hannover. Dort betreut er die Plattform RFolg.com, zu deren Partnern unter anderem die Handwerkskammern sowie mehrere Volksbanken und Sparkassen in den Regionen Hannover und Hildesheim gehören, darunter die Sparkasse Hannover.
Interview: Gerd Schild
Fotos: Region Hannover, Adobe Stock