Wände für die Wende
Deutschlandweit mangelt es an bezahlbaren Neubauwohnungen – auch in der Region Hannover. Ein Bauingenieur aus Hemmingen baut mit einer innovativen Fertigungstechnik hochwertige, nachhaltige Wohnungen im Schnelldurchlauf. Mit an Bord: das Family Office von Ex-Nationalspieler Per Mertesacker und die Sparkasse Hannover.
Da stehen sie nun oben auf einem garagengroßen Ungetüm aus Metall: Timo Mertesacker und Eckhard Struß, der sich dieses besondere Gerät ausgedacht hat. Der Name ist Programm: Der „Wandmodultoaster“ hat zehn Schlitze für Wände, in die Beton gegossen wird – durch die Metalleinheiten dazwischen läuft warmes Wasser. Damit kann auch bei Frost gearbeitet werden, direkt auf der Baustelle. Dank der Technik kann Struß Mehrfamilienhäuser bauen, mit dem hohen Energiestandard KfW-40, in kurzer Zeit, zu geringeren Kosten – und mit einem Team von insgesamt nur acht Leuten.
Struß geht mit seiner Innovation die zentrale Herausforderung der Wohnungswirtschaft und eines der wichtigsten gesellschaftlichen Probleme an: schnell bezahlbaren Wohnraum in großen Mengen schaffen. Während etwa die Automobilindustrie ihre Produktivität in den vergangenen 30 Jahren praktisch verdoppelt hat, hat sie auf dem Bau stagniert. Ein Quadratmeter neugebauter Wohnraum in Hannover kostet heute nach Angaben des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen durchschnittlich fast 5.000 Euro pro Quadratmeter – Trend steigend. Und vom Ziel der Bundesregierung, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, ist man in ganz Deutschland meilenweit entfernt. Mit der seriellen Fertigung soll sich das ändern.
Und hier kommt der Name Mertesacker ins Spiel: Per Mertesacker hat es aus Pattensen in die große Fußballwelt geschafft, ist als TV-Experte geschätzt und leitet im Hauptjob die Nachwuchsakademie die FC Arsenal in London. Sein Bruder Timo kümmert sich als CEO des Mertesacker Family Office (siehe Kasten) um die Entwicklung des Vermögens der Fußball-Ikone, mit einem unternehmerischen Schwerpunkt auf nachhaltigen Projekten und viel Verbundenheit zur Heimatregion.
Beton-Bauteile aus dem Toaster
Ein zentrales Thema ist der Bau von bezahlbarem, energetisch hochwertigem Wohnraum. Dafür hat sich Mertesacker mit Eckhard Struß zusammengetan und das gemeinsame Unternehmen Sturm & Drang gegründet. Den Wandmodultoaster, der dabei eine wichtige Rolle spielt, hat der Bauingenieur 2016 erfunden. Damals wollte Struß Wohnungen hochziehen, wo zuvor ein Supermarkt gestanden hatte. Doch die Fertigteilfabrik konnte nicht liefern. Das Projekt stand plötzlich auf der Kippe. „Ich bin niemand, der den Kopf in den Sand steckt“, sagt Struß. „Also habe einfach meine eigenen Wände gemacht“, erzählt der Bauingenieur. Er tüftelte ein paar Monate und hat dann mit seinem Unternehmen nobis Living aus Hemmingen das erste mobile Fertigteilwerk entwickelt. Drei Toaster sind aktuell im Einsatz, zwei weitere werden gerade gebaut. Insgesamt 520 Wohnungen hat Struß damit schon errichtet, darunter ein großes Studierendenwohnheim in Hildesheim.
Die Sparkasse Hannover ist seit vielen Jahren Hausbank der Familie Mertesacker, des Family Office und der Per Mertesacker Stiftung, Eckhard Struß vertraut ebenfalls auf die Expertise der Sparkasse – und auch beim Gemeinschaftsunternehmen Sturm & Drang ist sie dabei. Im Hemminger Ortsteil Arnum baut die Firma im Tal der Büffel – der Landstrich heißt tatsächlich so – zehn Reihenhäuser mit je drei Wohneinheiten, mit einem Volumen von 7 Millionen Euro. Die Kaltmiete wird um die 13 Euro pro Quadratmeter betragen.
Einen Großteil des Projekts finanziert die Sparkasse Hannover, daneben kommen Förderdarlehen der KfW zum Einsatz, bei deren Vermittlung Großkundenbetreuer Lars Schröder unterstützt hat. Die Sparkasse Hannover setzt seit langem auf die Finanzierung von nachhaltigen Projekten, doch beim Thema serielles Bauern musste sich auch Lars Schröder erst einmal reinarbeiten und die Kollegen überzeugen, bis die Finanzierung stand. „Wir haben hier Immobilien mit Energieüberschuss und einer monatlichen Pauschale für Nebenkosten inklusive Strom und Wärme, das konnten wir in unseren Finanzierungsprogrammen gar nicht berechnen“, sagt der Berater aus dem UnternehmenskundenCenter der Sparkasse Hannover. Dass am Ende alles reibungslos funktioniert hat, schreibt Timo Mertesacker vor allem Lars Schröder zu: „Er geht den extra Meter – und schafft es immer auch, wie ein Unternehmer zu denken.“
Jede Menge Grundstücksangebote
Beim Besuch im Tal der Büffel Ende September wird gerade die Baugrube ausgehoben, auf dem Gelände von Struß‘ Unternehmen warten schon die getoasteten Wände, 60 Prozent des Betons besteht aus Recyclingmaterial, das beim Abriss des Postscheckamt in Hannovers City angefallen ist. In einem Jahr soll alles einzugsfertig sein. Sturm & Drang könnte schneller wachsen als es der Firmenname nahelegt. „Es ist verrückt: Wir kriegen von allen Seiten Grundstücke angeboten, keiner will mehr bauen“, sagt Timo Mertesacker. „Weil es für sie zu teuer ist – und sie lieber nach Förderung rufen, als Innovation zu nutzen“, sagt Eckhard Struß.
Die Firma könnte also bauen ohne Ende. Doch Sturm & Drang will erst einmal mit dem Projekt in Arnum zeigen, was möglich ist und organisch wachsen. Zwei weitere Projekte mit insgesamt 60 Wohnungen sind aktuell in Planung. Tüftler Struß kann sich zudem gut vorstellen, neben den eigenen Projekten andere Bauunternehmen zu beraten und Wandmodultoaster zu verkaufen. „Wir haben ein Riesenproblem mit fehlendem Wohnraum – da müssen alle aktiv werden,“ sagt er.
Text: Gerd Schild
Fotos: Helge Krückeberg
Per und mehr – die Aktivitäten der Familie Mertesacker
Wenigstens einmal im Jahr tagt der Mertesacker-Familienrat – an Weihnachten. Dann sitzen sie zusammen: Vater Stefan, lange Ausbilder an der Sparkassen-Akademie, und die erwachsenen Söhne: Timo, ebenfalls bei der Sparkasse gelernter Banker, und Per, der von Pattensen mit dem Ball in die Welt zog. „Per hat ja irgendwann gut Fußball gespielt und dann auch gut verdient“, sagt Timo Mertesacker. Als die Verträge lukrativer wurden, habe man überlegt, was mit dem Kapital geschehen soll. Die Familie war sich schnell einig: Wir wollen damit etwas aufbauen, nachhaltig wachsen, und auch etwas zurückgeben.
So ist das Mertesacker Family Office entstanden, mit der Sparkasse Hannover als Hausbank. Das Office kümmert sich um Finanzgeschäfte, um Immobilien und um die Per Mertesacker Stiftung: Sie begleitet aktuell 150 sozial benachteiligte Kinder im Alter von sieben bis 17 Jahren, die Unterstützung brauchen. Zweimal die Woche treffen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Kindern, helfen beim Lernen, sorgen für gesundes Essen, machen gemeinsam Sport und vermitteln Werte – Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Respekt. „Das ist ein gesellschaftliches Invest, das man gar nicht messen kann“, sagt Timo Mertesacker.