Antikörper aus Algen

Kategorie: Best Practice

Aus dem Labor in die Wirtschaft: Dr. Alina Eilers (links) und Stephanie Pfeil-Coenen, Mitgründerinnen von Phaeosynt

Mit einem veganen Schwangerschaftstest tritt das Startup Phaeosynt den Beweis an, dass Proteine zur Diagnostik auch nachhaltig produziert werden können. Die Sparkasse Hannover will den Produktionsstart unterstützen.

Die Kieselalge ist äußerst genügsam. Um sich zu vermehren, benötigt der Einzeller vor allem Wasser und Wärme. In den Weltmeeren ist die Kieselalge ebenso zuhause wie in Wohnzimmer-Aquarien. Besonders gute Lebensbedingungen findet sie im Kulturschrank eines Labors im Institut für Pflanzengenetik der Leibniz Universität Hannover vor. Darin werden bei konstant 20 Grad auf einer Rüttelapparatur ein Dutzend Kolben mit Algen in einer Nährlösung bewegt. Der Inhalt schimmert hellgelb bis bernsteinfarben. Alina Eilers, promovierte Chemikerin, greift sich einen der Kolben und erklärt: „Je dunkler die Flüssigkeit, desto höher der Algenanteil.“

Der simple Organismus ist die Geschäftsgrundlage von Phaeosynt. Das Startup, eine Ausgründung aus der Uni, die hier noch Räume nutzt, gewinnt mithilfe der Kieselalgen Antikörper, die in der Diagnostik eingesetzt werden können. „Wir möchten Tierleid vermeiden und Ressourcen einsparen, um die Umwelt zu schonen“, sagt Eilers, die das Unternehmen 2021 mitgegründet hat und zur zweiköpfigen Geschäftsführung gehört. Bislang werden zur Gewinnung von Antikörpern oft Säugetieren präparierte Zellen eingesetzt, die die gewünschten Proteine vervielfältigen. Auch andere Verfahren basieren auf Tierzellen. Phaeosynt bietet eine pflanzliche Alternative, die obendrein günstiger ist.

Dazu wird der Bauplan eines Antikörpers auf das Erbgut der Alge übertragen, die das Protein anschließend produziert. 2025 wollen die neun Teammitglieder ein erstes Produkt auf den Markt bringen, das mit Antikörpern aus der Kieselalge hergestellt wurde: einen veganen Schwangerschaftstest. Schnelltests basieren auf der Interaktion von Antikörpern mit einem Zielmolekül – zum Beispiel dem Schwangerschaftshormon hCG – und zeigen ein positives oder negatives Ergebnis, je nachdem ob dieses Molekül vorhanden ist oder nicht.

Wollen miteinander ins Geschäft kommen: Firmenkundenberater Lukas Gohmert von der Sparkasse Hannover (links), Stephanie Pfeil-Coenen (CEO) und Dr. Alina Eilers (COO)

Antikörper für die Industrie

Im Frühjahr startet die Produktion in Thüringen, vom Sommer an sollen die Tests in Drogeriemärkten erhältlich sein. Die Sparkasse Hannover möchte diesen Schritt mit einem Kredit begleiten. „Mit ihrem nachhaltigen Geschäftsmodell passt Phaeosynt super zu uns“, sagt Firmenkundenberater Lukas Gohmert.

Die junge Firma ist angetreten, diagnostische Antikörper auf veganer Basis für Biotech-Firmen, die Pharmabranche oder Forschungsinstitute zu produzieren. Das Interesse der Industrie ist noch verhalten. „Viele wollen nicht von einem System abweichen, das vermeintlich gut läuft“, beobachtet CEO Stephanie Pfeil-Coenen. Um Skeptiker zu überzeugen, beschloss das Team, ein eigenes Diagnostikprodukt auf den Markt zu bringen: den Schwangerschaftstest. Von solchen Tests wurden 2022 allein in Deutschland jährlich 15 Millionen verkauft – allesamt nicht vegan. Die Alternative von Phaeosynt soll zeigen, dass die Technologie funktioniert, und Einnahmen generieren, um die Firma weiterzuentwickeln.

Neue Wege, neue Geldgeber

Das Unternehmen hat mehrere Gründerpreise gewonnen; so siegte Phaeosynt 2023 beim Wettbewerb Startup-Impuls der Wirtschaftsförderung Hannover und der Sparkasse Hannover in der Kategorie „Hochschul-Start“ (siehe unten). Bislang treibt das Team sein Projekt mit Stipendien und Fördermitteln voran sowie mit 720.000 Euro, die Investoren in einer ersten Finanzierungsrunde beigesteuert haben. Im Januar ist geplant, eine zweite Finanzierungsrunde über 1,5 Mio. Euro abzuschließen. Damit sollen die Kosten für die Validierung, sprich Zulassung, des Tests und die Marktvorbereitung vom Verpackungsdesign bis zur Social-Media-Kampagne gedeckt werden.

Die Produktion selbst will Phaeosynt hingegen mit Fremdkapital finanzieren – und hier kommt die Sparkasse Hannover ins Spiel. Lukas Gohmert aus dem Mittelstandsteam und Inga Thomas vom Center Nachfolge und Gründung tauschen sich diesem Sommer regelmäßig mit den Phaeosynt-Gründern aus. Die Sparkasse vermittelte Kontakte zu Partnern im Netzwerk und verschaffte Phaeosynt eine Bühne auf der Konferenz „Neue Wege im Business“, die im November zusammen mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veranstaltet wurde. „Ein gutes Netzwerk ist das A und O für uns“, sagt CEO Pfeil-Coenen.

Nun sprechen die Partner über einen größeren Kredit. Für Pfeil-Coenen, die es bislang vor allem mit Kapitalmarkt-getriebenen Investoren zu tun hatte, ist das Neuland. „Ein Investor will erfahren, was für ihn in drei oder vier Jahren herausspringt. Die Sparkasse möchte wissen, was wir im letzten Monat verdient haben“, sagt Pfeil-Coenen, die das Zahlenwerk gerade entsprechend aufbereiten lässt. Parallel treibt das Team die Zulassung seines Tests voran.

Stephanie Pfeil-Coenen und Alina Eilers sind zuversichtlich, dass Phaeosynt diese Hürde im ersten Halbjahr 2025 nimmt und im Sommer die ersten Schwangerschaftstests in den Handel kommen. Im übernächsten Jahr will Phaeosynt bereits nach Großbritannien und Frankreich liefern – und für Ende 2026 strebt das Unternehmen die Zulassung der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA an.


Impuls für junge Unternehmen

Der Gründerwettbewerb Startup Impuls geht in die 21. Runde

Bis zum 6. Januar 2025 können sich Gründerinnen und Gründer noch beim aktuellen Wettbewerb Startup Impuls bewerben. Teilnehmende Teams haben die Chance auf einen Gewinn von bis zu 25.000 Euro. Daneben profitieren die Sieger von Beratungs- und Coaching-Angeboten, Mitgliedschaften (Co-Working, Makerspaces), Feedback, Öffentlichkeit und Imageclips. Der Wettbewerb, den die Wirtschaftsförderung der Region Hannover gemeinsam mit der Sparkasse Hannover ausrichtet, wird zum 21. Mal durchgeführt.

Weitere Infos unter: www.wirtschaftsfoerderung-hannover.de

Text: Christian Baulig
Fotos: Helge Krückeberg