Mensch und Maschine – ein Traumpaar
Gefährdet Künstliche Intelligenz unseren Arbeitsplatz? Wie wird sich unser Berufsbild verändern? Und an welcher Stelle in Unternehmen kann es sinnvoll sein, sie einzusetzen? Diese und weitere Fragen beantwortet Reinhard Karger vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in unserem Interview.
Hier geht’s zum Video einer Veranstaltung von Sparkasse Hannover und hannoverimpuls zum Thema.
Herr Karger, an welcher Stelle in Unternehmen kann es sinnvoll sein, KI einzusetzen?
„Künstliche Intelligenz ist die Digitalisierung menschlicher Wissensfähigkeiten. Da gibt es viele, und für jede einzelne gibt es heute oder bald entsprechende Werkzeuge, die man produktiv einsetzen kann. Wissensfähigkeiten sind zentral für den Unternehmenserfolg, deswegen orientiert sich der Einsatz von KI in einem Unternehmen an den spezifischen Bedürfnissen, Branchen und Geschäftsmodellen. Um vom Einzelfall zu abstrahieren und anschaulich zu sein: nehmen Sie das faszinierende Thema der maschinellen Übersetzung. Das beste Angebot kommt aus Köln von deepl, und es kann in jedem Unternehmen die multilinguale Kommunikation verbessern, die Mitarbeitenden entlasten und die Arbeit erleichtern. Aber es ist ein Werkzeug, deshalb bleiben die Nutzenden in der Verantwortung für die Formulierung des Gedankens in der Quellsprache genauso wie für die Wirkung der Worte in der Zielsprache.“
Haben Sie für uns drei Tipps zum Umgang mit KI?
„Digitalisierung ausbauen, Spieltrieb ausleben, abgerundet durch eine Prise gesunder Skepsis. Digitalisierung ist in den meisten Fällen die entscheidende Voraussetzung für den praktischen Einsatz von KI in einem Unternehmen. Diese Feststellung ist nicht originell, aber immer noch notwendig, also sollte man den Digitalisierungsgrad seines Unternehmens kritisch analysieren, damit man eine grundsätzliche KI-Readiness erreicht. Dann sollte man alle kostenfreien Angebote ausprobieren. Es gibt KI-Kompetenzzentren für den Mittelstand und zwar in allen Bundesländern. Online-Angebote wie KI-Campus. Tage der Offenen Tür der Universitäten und Forschungszentren und es gibt z.B. die Hannover Messe, bei der jeder eine verblüffende KI-Reichhaltigkeit erleben und in der Forschungshalle sogar vor Ort mit den Entwicklern diskutieren kann. Und schließlich sollte man sich nicht von Schlagzeilen beeindrucken lassen. KI ist ein transdisziplinäres Projekt und gehört zu den Ingenieurwissenschaften. Da ist der Fortschritt beständig, aber der weltumstürzende Durchbruch nicht erwartbar.“
Wie können wir unseren Mindset ändern, um die Chancen von KI besser zu erkennen?
„Zuerst muss man Lust haben, Fragen zu stellen, und in Unternehmen geht es um einen ganzen Fragenkatalog. Wir erkennen die Chancen eines Werkzeugs, wenn wir uns vorurteilsfrei mit den Werkstücken beschäftigen: Was könnte besser laufen? Der Informationsfluss, die Kundenkommunikation, die Dokumentation, die überbordenden Prozesse? Arbeiten die Mitarbeitenden in Wirklichkeit an den Produkten oder an der Selbstverwaltung ihrer eigenen Arbeitsleistung? Kann man Doppelarbeit vermeiden? Welche Prozessinnovationen sind zielführend? Welche Verbesserungen kann man auf den Punkt bringen? Und welchen Beitrag will man von KI-Innovationen erwarten? Oder so: Weniger Fiction, weniger Marketing. Mehr Science, mehr Fakten.“
Wie kann ich als Unternehmer den Arbeitnehmern ihre Ängste nehmen, dass KI ihre Arbeitsplätze gefährdet ?
„Wenn es in einem Unternehmen um Innovation geht, ist Transparenz eine gute Strategie. Deshalb sollte man die Arbeitnehmenden schon im Entwurfsstadium über die Planung und den Entwicklungsprozess informieren. Anwendungen erklären. Vorteile herausstellen. Unbedingt: Betriebsräte und Datenschutzbeauftragte in den Prozess einbinden. Klingt gut, ist aber mehr als nur ein „weicher“ Rat, denn in Wirklichkeit werden sich die besten Anwendungsfälle erst dann entdecken lassen, wenn die Mitarbeitenden sie mitteilen. Es sind oft die kleineren Verbesserungen, bei denen die aktuellen KI-Technologien die besten Ergebnisse erzielen und so den größten Nutzen für ein Unternehmen entfalten können.“
Welches ist der größte Irrglaube bezüglich KI?
„Stichwort Allmachtsphantasie. Man kann sich darauf verlassen, dass die Werkzeuge besser werden. Das sind gute Aussichten. Aber es sieht nicht so aus, dass die immer wiederholte Erzählung stimmt, dass die quantitative Zunahme an maschineller Leistungsfähigkeit oder die algorithmischen Verbesserungen auch eine qualitative Erschütterung mit sich bringen, die man dann konstatieren müsste, wenn Maschinen eigene Ziele mit einem eigenen Willen verfolgen. Das Werkzeug ersetzt nicht den Werker. Der Löffel nicht den Koch. Es reicht doch, wenn der Ofen durch Bildverarbeitung warnt, bevor der Gänsebraten anbrennt und den Ofen direkt ausstellt, wenn der Koch gerade verhindert ist, weil er mit seinen Gästen spricht.“
Welches sind die drei größten Chancen Künstlicher Intelligenz und wie können wir diese nutzen?
„Wenn wir beim Unternehmen bleiben wollen: Bessere Prozesse. Vermeidung von monotoner Arbeit für den Menschen. Bessere Auswertung von großen Datensätzen und folglich die Beschleunigung der menschlichen Erkenntnistätigkeit. Übrigens ist der Mensch unglaublich leistungsfähig, wenn die Technologie ihm hilft zu fliegen.“
Inwieweit wird KI auch langfristig unser Berufsbild verändern – welche Rolle wird künftig der Mensch in Arbeitsprozessen einnehmen?
„Der Mensch wird von der arbeitsteiligen tayloristischen Welt befreit, die ihn zu einem entfremdeten Rädchen im Getriebe gemacht hat. Das ist die Hoffnung. Das Menschliche wird durch KI wieder eingesetzt in seinen eigentlichen Rang. Menschen und Maschinen sind zwar ein Traumpaar, aber sie haben unterschiedliche Talente. Die Talente des Menschen sind in seinem Lebensverständnis und seiner Orientierungs- und Handlungsfähigkeit in der mannigfaltig instabilen Welt. Die Vorteile der Maschine liegen in der effizienten Bearbeitung von letztendlich strukturierten Informationsräumen. Und davon profitieren wir zunehmend bei jedem Arztbesuch. KI wertet Massendaten aus und unterstützt die Diagnostik, der Arzt erhält eine bessere Basis für die Auswahl der Therapie und die Patienten werden eher gesund oder, im Fall von KI in der Prävention, erst gar nicht krank.“
Wo sehen Sie die KI in zehn Jahren?
„Beispiel Mobilität: 2030 haben wir hoffentlich selbstfahrende Autos, die dann durchaus auch als autonome Mobilitätskabinen eingesetzt werden können, so dass man vom Dorf in die Stadt gefahren wird, ohne selber lenken, beschleunigen oder bremsen zu müssen. Das ist nicht nur ein Akt der Bequemlichkeit, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Weiterentwicklung des ländlichen Raums. In Anbetracht der demographischen Entwicklung, von der wir natürlich wissen, das immer mehr betagte oder hochbetagte Senioren und Seniorinnen, ohne es zu wollen, aber dann doch als aktiv Lenkende zu Risiken im Straßenverkehr führen können, wird KI einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten.“
Wo sehen Sie die Grenzen von KI – gibt es sie überhaupt?
„Niemand kennt die Erfindungen von morgen. Deshalb kann man über Grenzen von Wissenschaft und Entwicklung nur auf der Basis des vorhandenen Wissens und dem Stand der Erkenntnis sprechen – und ein wenig über den Tellerrand hinaus extrapolieren. Aber wenn wir das alles zur Seite setzen: Maschinen werden keine Selbstwirksamkeit, kein Bewusstsein entwickeln, sie werden keine eigenen Absichten und keine eigenen Ziele haben. Sie werden nicht leidensfähig sein und deshalb wird man ihnen weder Würde, Freiheit oder Existenzrecht zusprechen müssen. Also wird man ein KI-System ausschalten können wie einen Toaster. Und ganz bestimmt ohne eine moralische Reflexion oder ein schlechtes Gewissen.“
Über Reinhard Karger:
Reinhard Karger (1961), M.A., studierte theoretische Linguistik und Philosophie in Wuppertal, war Assistent am Lehrstuhl Computerlinguistik der Universität des Saarlandes, wechselte 1993 zum Deutschen
Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, DFKI, in Saarbrücken. Seit 2011 ist er Unternehmenssprecher des DFKI. Reinhard Karger war über zehn Jahre Mitglied der Jury des „Ausgezeichnete Orte”-Wettbewerbs, ist seit Juni 2019 Botschafter von „Deutschland – Land der Ideen” und wurde 2020 in die Jury des Deutschen Mobilitätspreis berufen. Von Mai 2014 bis Juni 2017 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Information und Wissen e.V. (DGI). Seit Februar 2017 ist er MINTBotschafter des Saarlandes, im März 2018 wurde er zu einem der 100 Fellows des Kompetenzzentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes ernannt, darüberhinaus ist er Juror der Wettbewerbe Kreativsonar (Land) und Kreativpiloten (Bund).
https://twitter.com/ReinhardKarger
Über das DFKI:
Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) wurde 1988 als gemeinnützige Public-Private-Partnership (PPP) gegründet. Es unterhält Standorte in Kaiserslautern, Saarbrücken, Bremen, ein Projektbüro in Berlin, ein Labor in Niedersachsen und Außenstellen in Lübeck und Trier. Das DFKI verbindet wissenschaftliche Spitzenleistung und wirtschaftsnahe Wertschöpfung mit gesellschaftlicher Wertschätzung. Das DFKI forscht seit über 30 Jahren an KI für den Menschen und orientiert sich an gesellschaftlicher Relevanz und wissenschaftlicher Exzellenz in den entscheidenden zukunftsorientierten Forschungs- und Anwendungsgebieten der Künstlichen Intelligenz. In der internationalen Wissenschaftswelt zählt das DFKI zu den wichtigsten „Centers of Excellence“. Aktuell forschen ca. 1.250 Mitarbeitende aus über 65 Nationen an innovativen Software-Lösungen. Das Finanzvolumen lag 2020 bei 64,6 Millionen Euro.
www.dfki.de
Interview: Maike Jacobs
Fotos: Christian Krinninger; DFKI; Adobe Stock
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